Sicherstellung der IT-Barrierefreiheit in Ausschreibungs- und Vergabeverfahren

Dieser BIT inklusiv-Leitfaden beschäftigt sich mit der Sicherstellung barrierefreier IT in Ausschreibungs- und Vergabeverfahren. Ziel des Leitfadens ist es Kriterien aufzuzeigen, anhand derer sowohl Anbietern, als auch ausschreibende Stellen verdeutlicht wird, was Barrierefreiheit im Zusammenhang mit einer konkreten Auftragsvergabe bedeutet. Der Text befasst sich mit der Fragestellung, wie Ausschreibungstexte so gestalten werden können, damit die Barrierefreiheit im Endergebnis so weit wie möglich standardkonform umgesetzt wird und teure Nacharbeiten vermieden werden können. Hierfür werden zum einen rechtliche Grundlagen sowie Standards und Richtlinien herangezogen, zum anderen konkrete Formulierungsvorschläge für Vergabekriterien gemacht. Diese Handreichung von BIT inklusiv beschäftigt sich mit alle wichtigen Faktoren für die Sicherstellung der IT-Barrierefreiheit bei Ausschreibungs- und Vergabeverfahren für Software-Entwicklungen. Dabei bezieht der Handlungsleitfaden Aspekte von der Entwicklung der geeigneten Kriterien, über die Gestaltung von Ausschreibungsunterlagen und die anschließende Analyse und Bewertung der eingegangenen Angebote ein. Ziel des Leitfadens ist es Kriterien aufzuzeigen, anhand derer sowohl Anbietern, als auch das ausschreibenden Unternehmen verdeutlicht wird, was Barrierefreiheit im Zusammenhang der konkreten Ausschreibung bedeutet. Der Text befasst sich mit der Fragestellung wie Ausschreibungstexte zu gestalten sind, damit die Barrierefreiheit nicht nur auf dem Papier, sondern auch im Endprodukt so weit wie möglich standardkonform umgesetzt wird und teure Nacharbeiten vermieden werden können. Hierfür werden zum einen rechtliche Grundlagen sowie Standards und Richtlinien herangezogen, zum anderen anhand von Praxistipps und konkreten Formulierungsvorschlägen aufgezeigt, wie Vergabekritieren ausgearbeitet werden können.

Eine Handreichung des Projekts BIT inklusiv

Inhaltsverzeichnis

Ausgangssituation und Ziel dieses Handlungsleitfadens

Das Fehlen verbindlicher Kriterien in vielen IT-Ausschreibungen führt dazu, dass trotz des Zusatzes „barrierefrei“ die gelieferte bzw. entwickelte Software nicht den Anforderungen an barrierefreie IT entspricht und in der Folge für die betroffenen Mitarbeiter/innen entweder nur mit deutlichen Einschränkungen oder sogar überhaupt nicht nutzbar ist. Verbindliche Kriterien können vermeiden, dass sowohl der Anbieter als auch die ausschreibende Stelle sich darüber im Klaren sind, was im Zusammenhang der konkreten Ausschreibung mit Barrierefreiheit eigentlich gemeint ist. Viele denken im Zusammenhang mit der IT an sehbehinderte oder blinde Mitarbeiter/innen oder evtl. an Screenreader1. Was ist aber für taubblinde Mitarbeiter/innen relevant, die weder sprechen, hören oder sehen können? Rund 10% aller Internetnutzer sind sehbehindert, gehörlos oder motorisch eingeschränkt. Gerade für sie ist jedoch das Internet eine ideale Möglichkeit, an der modernen Informationsgesellschaft zu partizipieren. Unüberwindliche Nutzungsbarrieren im Internet stellen für dies Gruppe, aber auch für viele ältere Menschen ein großes Problem dar. IT-Barrierefreiheit bedeutet also auch Nutzerfreundlichkeit. Es ist somit erforderlich, das Thema Barrierefreiheit deutlich weiter zu stecken.
Software vollständig barrierefrei zu gestalten, kann aufwendig sein. Eine gute Zugänglichkeit für die Betroffenen zu schaffen, ist hingegen mit einem deutlich geringeren Realisierungsaufwand verbunden und für die tägliche Arbeit oft gut geeignet. Im BITV-Test zum Beispiel entspräche dies einem Wert von mindestens 90 von 100 erreichbaren Punkten. Im Laufe der Zeit können kontinuierliche Optimierungen der IT-Barrierefreiheit die Qualität, Arbeitsmotivation und in der Folge die Arbeitsergebnisse an IT-Arbeitsplätzen immer weiter verbessern.

Zugängliche Software bietet allen Nutzern den gleichen Funktionsumfang
In der Regel bieten zugängliche Lösungen eine gute Basis, um die erreichte Barrierefreiheit in der IT zu verankern und sukzessive weiterzuentwickeln.
Wie sind Ausschreibungstexte zu gestalten, damit die Barrierefreiheit nicht nur auf dem Papier, sondern auch im Endprodukt so weit wie möglich standardkonform umgesetzt wird und teure Nacharbeiten vermieden werden können?
Wir führen Sie in diesem Leitfaden durch alle wichtigen Aspekte von der Entwicklung der geeigneten Kriterien, über die Gestaltung von Ausschreibungsunterlagen und die anschließende Analyse und Bewertung der eingegangenen Angebote.

Standards und weitere Methoden zur Sicherstellung der Barrierefreiheit in der IT

In diesem Abschnitt stellen wir Ihnen die wichtigsten Standards, Normen und Richtlinien vor, deren Einhaltung die Rahmenbedingungen für Barrierefreiheit in der IT sicherstellt.
In den letzten Jahren gab es auf europäischer Ebene zahlreiche Aktivitäten mit dem Ziel, barrierefreie IT in der öffentlichen Verwaltung sicherzustellen. Dabei stehen erstmals nach amerikanischem Vorbild (Section 508 von 1986) beide Aspekte – Usability2 (Gebrauchstauglichkeit) und Accessibility 3 (Zugänglichkeit) – gleichermaßen im Vordergrund.
Es ist bereits jetzt absehbar, dass die derzeit erarbeiteten Normen, Gesetze und Richtlinien sukzessive auch für die Unternehmen an Bedeutung gewinnen werden. Bereits jetzt haben sie an den Schnittstellen zwischen der öffentlichen Hand und den Unternehmen Gültigkeit.

WCAG 2.0

Das World Wide Web Consortium (W3C) ist das Gremium zur Standardisierung der Techniken im World Wide Web4. Bereits 1999 wurden vom W3C Richtlinien für barrierefreie Webinhalte in den „Web Content Accessibility Guidelines 1.0 (WCAG 1.0) vorgestellt, die seit 2008 in überarbeiteter Form als WCAG 2.05 vorliegen. Die WCAG 2.0 ist als Referenz geeignet.
Sie basiert auf

vier Prinzipien (wahrnehmbar / bedienbar / verständlich / robust),

  • Prinzip 1: Wahrnehmbarkeit bedeutet, dass Informationen und Bestandteile der Benutzerschnittstelle den Benutzern so präsentiert werden müssen, dass sie sie wahrnehmen können. Ein Beispiel dafür sind grafische CAPTCHAs, die von Screenreadern nicht erkannt werden können. Sind werden sie eingesetzt, muss ein Alternative geben – zum Beispiel eine Audiosteuerfunktion.
  • Prinzip 2: Bedienbarkeit fordert, dass die Bestandteile der Benutzerschnittstelle und Navigation bedienbar sein müssen, zum Beispiel die Nutzbarkeit mit einer Tastatur
  • Prinzip 3: Verständlichkeit schreibt vor, dass die Informationen und Bedienung der Benutzerschnittstelle verständlich sein müssen, die Erläuterung von bzw. der Verzicht auf Abkürzungen und ungewöhnlichen Begriffe
  • Prinzip 4: Robustheit bedeutet, dass Inhalte müssen robust genug sein, damit sie zuverlässig von einer großen Auswahl an Nutzern einschließlich assistierender Techniken interpretiert werden können. Robust bedeutet also, dass die Inhalte zuverlässig nutzbar sein müssen, auch wenn die Nutzer unterschiedliche technische Voraussetzungen mitbringen.

zwölf Richtlinien / Erfolgskriterien (bspw. Alternativtexte / Tastaturbedienbarkeit),

  • zum Beispiel die Richtlinie 1.1 „Textalternativen“ (wie zum Beispiel Großschrift, Braille, Symbole oder einfachere Sprache), die Richtlinie 2.1 „Per Tastatur zugänglich“: alle Funktionalitäten müssen per Tastatur zugänglich sind, die Richtlinie 1.3 „Anpassbar“: Inhalte müssen so erstellt werden, dass sie auf verschiedene Arten dargestellt werden können (z.B. ein einfacheres Layout), ohne dass Informationen oder Struktur verloren gehen. usw.…

drei Konformitätsniveaus als testbare Erfolgskriterien.

  • Die Richtlinien sind Anweisungen und somit nicht direkt testbar. Es wurden Konformitätsniveaus – A (niedrigste Entsprechung), AA und AAA (höchste Entsprechung) definiert, die wiederum testbare Erfolgskriterien darstellen.

Erfolgskriterien lassen sich auf andere Formate übertragen werden, z.B. EN 301 549 (Vorgaben für Ausschreibungen)
Für die Anwendung auf andere Formate als Web-Inhalte besteht „Interpretationsbedarf“ – die WCAG ist web-orientiert
Diese Richtlinien können auf Grund der Erfolgskriterien auch auf andere Formate übertragen werden (z.B. EN 301 549, Vorgaben für Ausschreibungen – siehe im entsprechenden Abschnitt für nähere Informationen).

Section 508

Die Section 508 – ein umfangreiches US-Regelwerk – ist eine Verordnung ähnlich der deutschen „Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung“ (BITV). Sie basiert auf dem „Rehabilitation Act“ von 1973, dem „Americans with Disabilities Act „ – ein Behindertengleichstellungsgesetz – von 1990 und wurde schließlich 1998 vom Kongress verabschiedet.
Sie verpflichtet die US-Behörden jedoch nicht nur ihre Information auf zugängliche Art und Weise bereit zu stellen, sondern fordert im Gegensatz zur BITV auch, bei Gebrauch und Neuerwerb von Informationstechnologien sicher zu stellen, dass diese barrierefrei genutzt werden können. Das bedeutet, dass die Section 508 im Unterschied zu ihrem deutschen Gegenstück sowohl die accessibilty als auch die usability umfasst. Sie umfasst unter anderem auf die Bereiche Web, PDF, Dokumente und Anwendungssoftware. Die Umsetzung wird vom Justizministerium der Vereinigten Staaten überwacht. Sie sind obligatorischer Bestandteil der öffentlichen Beschaffungsvorgaben, d.h., alle Unternehmen, die für US-Bundesbehörden Dienstleistungen erbringen oder Waren verkaufen, müssen sich an diese Vorgaben halten.

Die „Centers for Medicare & Medicaid Services (CMS), Teil des „Department of Health and Human Services“ bieten Section-508-Checklisten zur Barrierefreiheit von Dokumenten zum Download an.

Weitere Informationen / Download 
http://www.cms.gov/Research-Statistics-Data-and-Systems/CMS-Information-Technology/Section508/508-Compliant-doc.html

Behindertengleichstellungsgesetz

Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) basiert auf dem Grundsatz des Artikels 3 Abs. 3 des Grundgesetzes. Dort heißt es „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“.
Das BGG fordert für Menschen mit Behinderungen eine gleichwertige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben
Es schreibt die Schaffung barrierefreier Informationstechnik vor:

  • §4 BGG „Barrierefrei sind […] Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen […], wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“
  • §7 BGG „Durch Rechtsverordnung werden die anzuwendenden technischen Standards bestimmt.“

Die im Behindertengleichstellungsgesetz geforderte Gleichstellung bezieht sich explizit auch auf elektronische Informationsangebote wie bspw. das Web und andere grafische Programmoberflächen. Das Behindertengleichstellungsgesetz wird derzeit auch hinsichtlich des Vergabeverfahrens angepasst.

BITV 2.0

Die BITV 2.0 beschreibt Richtlinien zur Accessibility von Informationsangeboten und ist die deutsche Variante der Section 508. Die BITV 2.0, die Verordnung zur Schaffung von Barrierefreiheit in der Informationstechnik, wurde im Jahr 2011 auf Basis der BITV 1.0 aus dem Jahre 2002 erlassen. Die BITV 2.0 entspricht einer Übersetzung der WCAG 2.0 mit nur geringen Abweichungen, z.B. im Punkt „einfache Sprache“. Über die WCAG 2.0 hinaus geht die Forderung der BITV 2.0 nach Gebärdensprache und Leichter Sprache. Die konkrete Umsetzung dieser Forderungen wird in Anlage 2 geregelt. Weiterentwickelt wurde ebenfalls die Technologieunabhängigkeit.
Im Gegensatz zu ihrem amerikanischen Vorbild beschränkt sich die BITV 2.0 auf Aspekte der Accessibility. Die Usability wird über das Behindertengleichstellungsgesetz abgedeckt, auf das sich die BITV 2.0 ausdrücklich bezieht.

Die BITV gilt für Webangebote und öffentlich zugängliche Intranetangebote sowie für grafische Programmoberflächen der Bundesbehörden. Einige Bundesländer haben die BITV in Form von Landes-BITVn verfeinert. So regelt z.B. die Landes-BITV in Nordrhein-Westfalen die Umsetzung der barrierefreien Gestaltung von Inter- und Intranetangeboten, öffentlich zugänglichen Infoterminals und Datenträgern wie CD und DVD6. Sie bezieht sich auf die BITV des Bundes und außerdem auf die vier Prinzipien der WCAG 2.0.

Weitere Informationen / Download
http://www.gesetze-im-internet.de/bitv_2_0/BJNR184300011.html

DIN EN ISO 9241-171:2008-10

DIN EN ISO 9241 behandelt die Ergonomie der Mensch-System-Interaktion und beschäftigt sich in Teil 171 mit den Leitlinien für die Zugänglichkeit von Software.
Die DIN EN ISO 9241-171:2008-10

  • enthält Anforderungen und Empfehlungen für die Gestaltung zugänglicher Software bei der Arbeit, zu Hause, im Bildungswesen und an öffentlichen Orten
  • berücksichtigt weder das Verhalten unterstützender Technik (einschließlich unterstützender Software) noch konkrete Anforderungen am Arbeitsplatz
  • betrachtet den Einsatz von unterstützender Technik als integrierten Bestandteil von interaktiven Systemen
  • geeignet, um die Spezifikation, Gestaltung, Entwicklung, Bewertung und Beschaffung von Software zu konkretisieren
  • unterscheidet die Kriterien in „Muss“ und „Soll“
  • bietet 30 Begriffsbestimmungen und 3 Gestaltungsgrundsätze
  • definiert klar die relevanten Begriffe wie z.B. „Zeigegerät“ (der Begriff z.B. Mäuse, Trackballs, Touchscreens, Touchpads, spezielle Eingabegeräte wie Headtracker).
  • enthält detaillierte Prüfanweisungen – 142 Richtlinien, die sich aus 62 verbindlichen Anforderungen (davon 15 für Betriebs- und 4 für geschlossene Systeme; zusammengefasst in Annex B) und 80 Empfehlungen zusammensetzen. Sie können selbst festlegen, welche der 80 Empfehlungen z. B. im Rahmen von Ausschreibungen zusätzlich verbindlich werden.
  • hat eine hohe Akzeptanz auf Anbieter- und Nachfrageseite
  • in Annex C bietet eine Checkliste die Möglichkeit zur Überprüfung, welche der Anforderungen und Empfehlungen erfüllt wurden.

Die DIN EN ISO 9241 – 171 definiert nicht nur Anforderungen und bietet Empfehlungen für die Gestaltung zugänglicher Software, sondern behandelt auch Probleme im Zusammenhang mit der Gestaltung von Software, die für Menschen mit einem möglichst breiten Spektrum physischer, sensorischer und kognitiver Fähigkeiten zugänglich ist, einschließlich vorübergehend in ihren Fähigkeiten beeinträchtigter sowie älterer Menschen. Weiterhin enthält diese Norm grundsätzliche Überlegungen zur Softwarezugänglichkeit.
Bestandteil ist ebenfalls die Zugänglichkeit von interaktiven Systemen. Sie dient der Verbesserung der Gebrauchstauglichkeit von Systemen für eine möglichst große Anzahl von Benutzern mit unterschiedlichsten Fähigkeiten.
Aufgrund der umfassenden Gestaltung ist die DIN EN ISO 9241 – 171 geeignet, bei der Spezifikation, Gestaltung, Entwicklung, Bewertung und Beschaffung von Software zu konkretisieren und zu unterstützen.
EU-Rechtsprechung bestätigt die Eignung der DIN EN ISO 9241 – 171 als Bewertungsstandard zur Benutzerfreundlichkeit aus der BildscharbV
Die in der Euronorm enthaltenen Leitlinien sind gesetzlich noch nicht verankert, dennoch

  • ist die Einhaltung für Arbeitgeber rechtlich bindend,
  • wird sie als Teil des Anhangs zur BildscharbV (ebenso wie DIN EN ISO 9241-10, …) geführt.

Die DIN EN ISO 9241-171:2008-10 definiert die Zugänglichkeit für eine weit gefasste Benutzergruppe:

  • Menschen mit angeborenen oder später im Leben erworbenen physischen, sensorischen und kognitiven Behinderungen,
  • ältere …,
  • … mit zeitweise auftretenden Beeinträchtigungen…,
  • … die in lauten Umgebungen arbeiteten.
  • unterscheidet nach den Anforderungen verschiedener Zielgruppen wie Gestalter, Entwickler, Berater, Käufer, Prüfer usw.

Die DIN EN ISO 9241 – 171 definiert sehr konkrete Anforderungen
und Empfehlungen
Damit sie sich einen Eindruck über den konkreten Aufbau der DIN EN ISO 9241 machen können, nachfolgend ein kurzer Einblick in die Norm anhand einiger Abschnitte und der jeweiligen Unterabschnitte.
Abschnitt 8 – Allgemeine Richtlinien und Anforderungen, z.B. im Unterpunkt „Spezielle Richtlinien für Zugänglichkeitsmerkmale“

  • Steuerungselemente für Zugänglichkeitsmerkmale auffindbar und benutzbar machen.
  • Vor unbeabsichtigter Aktivierung oder Deaktivierung von Zugänglichkeitsmerkmalen schützen.
  • Beeinträchtigung von Zugänglichkeitsmerkmalen vermeiden.
  • Den Benutzer über den Ein- oder Ausschaltzustand von Zugänglichkeitsmerkmalen informieren.
  • Den Benutzer über die Aktivierung eines Zugänglichkeitsmerkmals informieren
  • Dauerhafte Anzeige ermöglichen

Die nächsten Unterpunkte „Allgemeine Richtlinien für Steuerung und Betrieb“, „Kompatibilität mit unterstützender Technik“ und „Geschlossene Systeme“ sind wiederum in zugehörige Themen unterteilt. Der Abschnitt „Eingaben“ behandelt in seinen Unterabschnitten unter anderem „Alternative Eingabeoptionen“, den „Tastaturfokus“ sowie die „Tastatureingabe“
Die Abschnitte 10 und 11, „Visuelle Ausgabe“ und „Online – Dokumentation“ sind ebenfalls in konkrete Unterabschnitte samt den damit verbundenen Themen untergliedert.

  • Visuelle Ausgabe (optische Anzeigen)
  • Text/Schriftarten
  • Farbe
  • Erscheinungsbild und Verhalten von Fenstern
  • Audioausgabe
  • Textäquivalente zu Audio (Untertitel)
  • Online-Dokumentation, Hilfe und Unterstützungsdienste

Weitere Informationen / Download
www.beuth.de/de/norm/din-en-iso-9241-171/107114575

Warum Sie die Kriterien der DIN EN ISO 9241-171:2008-10 anwenden sollten

Die DIN EN ISO 9241-171:2008-10 sollten Sie bei der Formulierung konkreter Anforderungen in Ausschreibungs- und Vergabeverfahren unbedingt anwenden, weil sie

  • in Fachkreisen als Defacto-Standard anerkannt ist
  • konkrete Anforderungen definiert und bietet Handlungsempfehlungen
  • umfassende Empfehlung zur barrierefreien Gestaltung von Software bietet
  • bei Verwendung der Checklisten sichere Bestimmung gewährleistet
    • welche der Anforderungen und Empfehlungen in einem konkreten Fall geeignet sind
    • ob die geeigneten Anforderungen angewandt und der vorgeschlagene Weg eingehalten wurde.
  •  vollkommen unabhängig davon, ob in Ihrer Organisation Menschen mit besonderen Bedarfen beschäftigt sind, es unter anderem auch ältere Menschen sind, die in ihren physischen, sensorischen und kognitiven Fähigkeiten ggf. eingeschränkt sind, die jedoch von neuen Produkten und Dienstleistungen profitieren können.

Erschließen Sie mit zugänglichen IT-Lösungen neue Kunden- und Nutzergruppen

EN 301 549

Die EN 301 549 beschreibt den EU Standard in Bezug auf die Beschaffung barrierefreier Informations- und Kommunikationstechnik. Informations- und Kommunikationstechnik bedeutet, dass sie über Barrierefreiheit in der IT hinausgeht und sich außerdem z.B. den Themen Telefonie und Unterhaltungselektronik widmet.
Sie ist das Ergebnis des EU-Mandats 376, an dem seit 2005 mit dem Ziel gearbeitet wird, das europäische Vergaberecht zu harmonisieren. Sie ist somit als europäisches Pendant zur Section 508 zu verstehen, da sie erstmals in einem Regelwerk sowohl die Accessibility als auch Usability vereint. Sie enthält zudem ein „Section 508 Refresh“ und wurde als Standard in der EU-Beschaffungsrichtlinie „RL 2014/24/EU” referenziert. 2014 wurde sie in englischer Sprache veröffentlicht und wird zur Zeit in die EU-Nationalsprachen übersetzt, die deutsche Übersetzung soll noch 2016 kommen.
Sie beschreibt die funktionalen Kriterien der Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie und ist in diesen Bereich bei öffentlichen Ausschreibungen anwendbar. Außerdem revolutioniert sie die öffentliche Ausschreibung im EU-Raum, denn sie erklärt Barrierefreiheit erstmals als verpflichtendes Kriterium in IT-Ausschreibungen öffentlicher Institutionen!
Barrierefreiheit erstmals als EU-weit verpflichtendes Kriterium in den
IT-Ausschreibungen öffentlicher Institutionen
Die Norm enthält u.a. Anforderungen in den Bereichen Hardware, Web, Nicht-Web und Software. Wenn wir uns diese Norm etwas näher ansehen, stoßen wir auf alte Bekannte:
So bezieht sich der Bereich Web auf Dokumente und Software, die im Web eingesetzt wird und enthält alle Level A- und AA-Erfolgskriterien der WCAG 2.0 als Mindestanforderung!
Bei Nicht-Web-Dokumenten orientiert sie sich an den Richtlinien der WCAG 2.0 ICT Task Force
Für Software referenziert sie im Allgemeinen, ausgenommen z.B. das Web, unter anderem die EN ISO 9241 Teil 171.
Weiterhin müssen diese Anforderungen, insbesondere die Testanweisungen aus dem Anhang C der EN 301 549 für Programmoberflächen berücksichtigt werden.

Weitere Informationen / Download 
http://www.etsi.org/deliver/etsi_en/301500_301599/301549/01.01.01_60/en_301549v010101p.pdf

Praxistipp: DIN EN ISO 9241-171 oder EN 301 549?

Warum denn zwei überhaupt unterschiedliche Normen? Unter anderem deshalb, weil die EN 301 549 aus der WCAG abgeleitet wurde, die, bedingt durch ihre Herkunft, naturgemäß etwas weblastig ist, was dazu führt, dass einige Aspekte von Software vernachlässigt werden. Keine große Überraschung, denn die WCAG wurde für Web-Content, also Dokumente – somit also statische Inhalte – entwickelt. Browserbasierte Software wurde erst später eingefügt, dieser Bereich wird nach herrschender Meinung in der WCAG nur oberflächlich abgedeckt. Die WCAG deckt also keine „dynamischen“ Softwareaspekte ab. Das bedeutet z.B., dass Prozesse, die eine differenziertere Tastatursteuerung erfordern, in der WCAG nicht berücksichtigt werden. So gibt es z.B. keine Anforderung, dass bei Erscheinen eines Dialogs der Tastaturfokus folgen muss oder dass für häufig verwendete Funktionen Shortcuts einzusetzen sind.
Die WCAG 2.0 ICT-Task Force7 hat eine Anleitung für die Anwendung von WCAG auf Nicht-Web-Software herausgegeben, die diesen Mangel aber leider nicht behebt, sondern zusätzlich weitere Erfolgskriterien streicht, die nach unserer Auffassung für Software nicht verzichtbar sind, weil sie die Orientierung in großen bzw. komplexen Systemen betreffen.
Die DIN EN ISO 9241 Teil 171 hingegen verzichtet auf eine Ebenentrennung, was dazu führt, dass jede Anforderung auf ihre Gültigkeit im jeweiligen Kontext einzeln geprüft werden muss.
Aus unserer Sicht ergeben deshalb beide Verfahren zusammen die beste Lösung. Sie sollten daher sowohl die EN 301 549 also auch die DIN EN ISO 9241 Teil 171 zurate ziehen.
Beste Lösungen erreichen Sie, wenn Sie die EN 301 549 und die
DIN EN ISO 9241 – 171 anwenden

Weitere Informationen / Download  www.etsi.org/deliver/etsi_en/301500_301599/301549/01.01.02_60/en_301549v010102p.pdf

Richtlinie 2014/24/EU (RL 2014/24/EU)

Die Richtlinie 2014/24/EU (RL 2014/24/EU) des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe ist die bedeutendste Reform des Vergaberechts seit 2004 und will die

  • Vereinfachung und Flexibilisierung von Vergabeverfahren
  • Verbesserung des Zugangs für kleine und mittelgroßen Unternehmen
    Stärkung der Möglichkeit, soziale und umweltpolitische Ziele in Vergabeverfahren zu berücksichtigen (Europa 2020-Ziele)
  • Nach Art. 42 Absatz I UAbs. 4 müssen technische Spezifikationen so gewählt werden, dass die Zugänglichkeitskriterien für Personen mit Behinderungen oder der Konzeption für alle Nutzer („design for all“) berücksichtigt werden
  • Im April 2016 Novellierung von Vergaberechtsmodernisierungsverordnung, Vergaberechtsmodernisierungsgesetz und GWB

Die RL 2014/24/EU gilt derzeit für Aufträge, deren Schwellenwerte bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen 135.000 € (zentrale Regierungsbehörden) bzw. 208. 000 € (subzentrale öffentliche Auftraggeber) übersteigt. Schwellenwert bedeutet, dass bei Aufträgen oberhalb dieser Grenze grundsätzlich europaweit ausgeschrieben werden muss. Die Kommission kann diese Schwellenwerte alle zwei Jahre neu festsetzen.
Im April 2016 wurden in der Folge die Vergaberechtsmodernisierungsverordnung und das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz) überarbeitet, genauso wie das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). So heißt es bspw. in § 97 GWB – Grundsätze der Vergabe in Absatz 4:

  • „Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen.“
  • „Zwar ist es auf der Grundlage des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses auch künftig zulässig, den Zuschlag allein auf das preislich günstigste Angebot zu erteilen. Der öffentliche Auftraggeber wird jedoch – insbesondere bei der Beschaffung von nichtmarktüblichen, nicht standardisierten Leistungen – seine Vergabeentscheidung in der Regel auf weitere Zuschlagskriterien wie z.B. Qualität, Zweckmäßigkeit, technischer Wert, Lieferfrist oder Ausführungsdauer stützen. Soziale Aspekte, wie etwa die Förderung der sozialen Integration von benachteiligten Personen, der Berücksichtigung von Aspekten der Barrierefreiheit oder des „Designs für Alle“ sowie positive Umwelteigenschaften (z.B. Klima- und Energieeffizienzeigenschaften) der Leistung können dabei vom öffentlichen Auftraggeber ebenfalls als Zuschlagskriterium vorgegeben werden.“

Weitere Informationen / Download
https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/P-R/richtlinie-vergabe-oeffentlicher-auftraege,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf

Verpflichtungserklärungen: Anforderungserklärung und Selbsterklärung

Eine überwiegend im angelsächsischen Raum verbreitete Form der Festlegung bzw. Zusicherung von Produkteigenschaften ist der Einsatz von Verpflichtungserklärungen. Mit dem „BuyAccessible Wizard“, der sowohl für die Beschaffungs- als auch für die Lieferantenseite verfügbar ist, lassen sich die für die jeweilige Funktion relevanten Aspekte – bezogen auf die Kriterien der Section 508 – prüfen und für die Erstellung einer Anforderungserklärung des Beschaffers bzw. Einkäufers GPAT8 nutzen. Diese Kriterien lassen sich mit denen der bereits genannten Richtlinien und Normen kombinieren.
Die Formulierung einer Selbsterklärung, die vom Anbieter bzw. Produzenten zur Barrierefreiheit des Produktes VPAT9 zu unterzeichnen ist, stellt eine weitere effektive und unkomplizierte Möglichkeit dar, um die Barrierefreiheit in der Beschaffung von IT-Produkten sicherzustellen. Konkrete Kriterien für die Gestaltung barrierefreier IT, die sich ebenfalls um solche aus den bereits genannten Richtlinien und Normen ergänzen lassen, finden Sie unter den unten aufgeführten Links.
Beide Verpflichtungserklärungen – GPAT und VPAT – sind erfahrungsgemäß gut geeignet, um die grundlegende Zugänglichkeit von IT-Lösungen zu gewährleisten. Auch wenn keine vollständige BITV-Konformität erreicht werden kann, gibt es nur wenige Beanstandungen in der täglichen Praxis. Der Vorteil ist ebenfalls, dass die hier genannten Kriterien „praxiserprobt“ sind, eine hohe Akzeptanz auf Anbieterseite kann daher erwartet werden. Gleichzeit bleibt dem Anbieter die Freiheit erhalten, wie er das genannte Ziel erreicht.

Weitere Informationen / Download
http://app.buyaccessible.gov/Main.jsp
http://www.state.gov/m/irm/impact/126343.htm

Socially Responsible Public Procurement

Die Festlegung der technischen Anforderungen ist nur eine Seite bei der Entwicklung von Ausschreibungsunterlagen. Ein weiterer Aspekt ist die interne und externe Kommunikation der Werte, die sich hinter dem Entschluss verbergen, der IT-Barrierefreiheit den entsprechenden Stellenwert beizumessen. Zudem bietet sich über die hier genannten Kriterien hinaus eine weitere anerkannte Bewertungs- und Auswahlmöglichkeit im Rahmen von Ausschreibungen.
Im Auftrag der europäischen Kommission wurde ein Leitfaden mit dem Titel „Socially Responsible Public Procurement“, abgekürzt SRPP mit dem Ziel entwickelt, den Stellenwert sozialer Belange in der Beschaffung der öffentlichen Hand zu definieren, ihn messbar und damit im Rahmen von Ausschreibungen bewertbar zu machen.
Dieser Leitfaden basiert auf sozialen Werten wie Beschäftigungschancen, menschenwürdige Arbeit, der Einhaltung von arbeitsrechtlichen und sozialen Bestimmungen und explizit der sozialen Eingliederung von Menschen mit Behinderungen, der Barrierefreiheit, des Design für alle und andere mehr. SRPP bezieht sich auf Beschaffungsmethoden und -prinzipien, die u.a. auf folgende soziale Belange ausgerichtet sind:

  • Beschäftigungschancen und menschenwürdige Arbeit
  • Einhaltung von arbeitsrechtlichen und sozialen Bestimmungen
  • soziale Eingliederung (einschließlich Menschen mit Behinderungen)
  • Barrierefreiheit und Design für alle
  • Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien
  • CSR – Einbeziehung von fairem Handeln und größere freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen zu sozialer Verantwortung

Über SRPP soll erreicht werden, dass die

  • „Förderung der Beschäftigungschancen von Menschen mit Behinderung durch Schaffung eines barrierefreien Arbeitsumfelds…“,
  • Förderung von „Barrierefreiheit und Design für alle“, darunter: Aufnahme von verbindlichen Bestimmungen in die Leistungsbeschreibungen, die Menschen mit Behinderungen den sicheren Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, öffentlichen Gebäuden, öffentlichen Verkehrsmitteln, öffentlichen Informationen sowie zu IKT-Produkten und Dienstleistungen (Informations- und Kommunikationstechnologie) gewährleisten,

verbessert wird. Die Kernidee ist die Möglichkeit des Erwerbs von Produkten und Dienstleistungen, die für alle Menschen zugänglich sind.
Kernidee ist, Produkte und Dienstleistungen zu erwerben, die für alle Menschen zugänglich sind
Hinter diesem Konzept steht die Überzeugung, dass ein sozialverantwortliches öffentliches Beschaffungswesen faire Voraussetzungen in Europa schaffen kann, mit dem Nebeneffekt, durch entstehende Skaleneffekte die Angebotspreise senken und somit deren Verbreitung erhöhen zu können. Unter Skaleneffekten versteht man die Größenvorteile, das bedeutet, dass die Selbstkosten je Stück mit zunehmender Produktionsmenge sinken.
Die Frage lautet: ist es möglich, soziale Aspekte als Zuschlagskriterien in Ausschreibungs- und Vergabeverfahren zu definieren? Die Antwort darauf lautet eindeutig: ja!
Spätestens seit der Novellierung des Vergaberechts im April 2016, in der die Nennung und Bewertung sozialer Aspekte als Zuschlagskriterien gleichbedeutend mit dem Zuschlagskriterium Preis gleichgezogen hat, ist es möglich, die konkrete Anforderung nach der Barrierefreiheit der angeforderten IT – Lösung oder Software in Ausschreibungen aufzunehmen und ungeeignete Angebote – auch wenn sie preislich deutlich günstiger erscheinen – vom Vergabeverfahren auszuschließen.

Weitere Informationen / Download
https://www.vergabe24.de/wissen/professionell-ausschreiben/soziale-aspekte-beruecksichtigen.html –

Praxistipp: Empfehlungen zur Formulierung von Anforderungen – theoretische Grundlagen

Wir empfehlen zur Beurteilung der Barrierefreiheit bzw. zur Formulierung von Anforderungen in Antragsunterlagen je nach Einsatzzweck die Verwendung folgender Richtlinien und Normen:

  • Für Anwendungssoftware die DIN EN 9241-171 sowie zusätzlich die EN 301 549,
  • für Webinhalte die WCAG 2.0 sowie zusätzlich die EN 301 549,
  • [Exkurs] sowie für PDF-Dokumente die PDF /UA

Verfassen von Leistungsbeschreibungen, Vergabekriterien

Die Erstellung von Leistungsbeschreibungen ist komplex genug. Umso ärgerlicher ist es, wenn das Ergebnis dann z.B. in Bezug auf die IT-Barrierefreiheit mangelhaft ist und neben juristischem Ärger auch noch zusätzliche Kosten und zeitliche Verzögerungen anfallen.
Wir wollen Ihnen nachfolgend als „Arbeitshilfe“ Praxistipps geben, um Ihnen die Gestaltung von Leistungsbeschreibungen im Rahmen von Ausschreibungen möglichst einfach zu machen.

Erarbeitung von Ausschreibungskriterien, Kriterienkatalog

Zur Erarbeitung von Ausschreibungskriterien bietet die Webseite des Projektes „BANU Bund“ – Barrieren finden, Nutzbarkeit sichern – des Bundesverwaltungsamtes bzw. der Bundesstelle für Informationstechnik eine praxisnahe Einführung in das Thema und weiterhin konkrete Kriterien für einen individuell zu erstellen Prüfkatalog. Hier finden Sie ebenfalls eine Sammlung von Checklisten sowie Anregungen für die Formulierung von Ausschreibungskriterien bzw. des Prüfkatalogs für die Angebotsbewertung.

Weitere Informationen / Download
http://www.banu.bund.de/DE/Home/home_node.html
http://www.banu.bund.de/DE/Pruefkatalog/PruefkatalogWeb_node.html

Praxistipp: Mindestbestandteile von Leistungsbeschreibungen

Beachten Sie bei der Erstellung von Leistungsbeschreibungen folgende Punkte:

  • Deutliche Nennung der einzuhaltenden Standards zur Barrierefreiheit
  • Konkretisierung dieser Standards durch Angaben zu den einzuhaltenden Anforderungen
  • Verpflichtung des Bieters, ein Konzept zur IT-Barrierefreiheit vorzulegen
  • Nennung von Referenzen auch zur IT-Barrierefreiheit

Wir empfehlen außerdem eine fachliche Begleitung von der Formulierung der Leistungsbeschreibung über eine entwicklungsbegleitende Evaluation bis hin zur Produktabnahme. Sprechen Sie uns gerne darauf an!

Praxistipp: Konkretisierung am Beispiel „Tastaturbedienbarkeit“

Fügen Sie den Hinweis ein, dass die Verfügbarkeit des Produkts (oder der Leistung) für sehbehinderte oder blinde Personen, für Schwerhörige oder Taube, für geistig Behinderte, für Personen mit eingeschränkter Mobilität und Fingerfertigkeit usw. gewährleistet sein muss.

Praxistipp: Formulierungsvorschläge

Formulierungsvorschlag 1:

„Der zu realisierende Internetauftritt muss alle Vorgaben der Priorität I der BITV 2 erfüllen. Der Prototyp des Frontends muss in einem abschließenden BITV-Test mindestens 95 Punkte erreichen. Protokolle sind beizulegen.“

Formulierungsvorschlag 2:

Aus einer Ausschreibung der ENGAGEMENT GLOBAL gGmbH – http://www.engagement-global.de (Passage 4.3.4 Barrierefreiheit):
„Die Umsetzung erfolgt barrierearm gemäß den Anforderungen der Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BITV). Die Formularstrecken sind gemäß der Anlage zu dieser Verordnung so zu gestalten, dass alle Bereiche die unter Priorität I aufgeführten Anforderungen und Bedingungen erfüllen und zentrale Navigationsbereiche und Funktionen zusätzlich die unter Priorität II aufgeführten Anforderungen und Bedingungen berücksichtigen. Die gesamte Formularstrecke muss vollständig über Tastatur navigierbar und über Screenreader benutzbar sein. Die Formularstrecken müssen bei einem entwicklungsbegleitenden BITV-Test (http://www.bitvtest.de/bitvtest.hmtl) mindestens 90 Punkte erreichen. Die Kosten für die entwicklungsbegleitenden BITV-Tests übernimmt Engagement Global. Sollten wiederholte Prüfungen notwendig werden, da die 90 Punkte nicht erreicht werden, hat der Auftragnehmer die Kosten hierfür zu übernehmen.“

Praxistipp: Einbeziehung aller Betroffenen

Suchen Sie besonders im Vorfeld von Beschaffungsvorhaben bzw. Ausschreibungsaktivitäten den Kontakt zu allen betroffenen Abteilungen sowie zur Schwerbehindertenvertretung.
Suchen Sie den Kontakt zu allen betroffenen Abteilungen sowie zur Schwerbehindertenvertretung
Durch die Nähe der Schwerbehindertenvertreter_innen zu den betroffenen Mitarbeiter_innen erhalten Sie wichtige Informationen, die es Ihnen ermöglichen, konkrete Kriterien zu formulieren.

Ausarbeitung von weiteren Vergabekriterien

Basierend auf den im Leitfaden SRPP genannten Aspekten haben Sie die Möglichkeit, zusätzlich zu den technischen auch nicht-technische Zuschlagskriterien einzusetzen und zu formulieren. So können Sie beispielsweise einen Bieter ausschließen, der die nationalen Vorschriften zur Sicherheit am Arbeitsplatz oder gegen Diskriminierung verletzt hat und in diesem Zusammenhang bereits verurteilt wurde. Noch pauschaler und unkomplizierter ist der Ausschluss eines Bieters, der, anders als es die nationalen Rechtsvorschriften vorsehen, bisher keine Gleichstellungsgrundsätze eingeführt hat. Hier können Sie als Beleg bspw. einen Auszug aus der Unternehmensphilosophie anfordern. Angebotsbewertung und Auswahl

Grundsätze für die Beschaffung

Selbstverständlich sollte bei einer Ausschreibung immer dasjenige Angebot das Rennen machen, dass das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bietet. Was aber zählt zum Preis-Leistungs-Verhältnis? Wenn Sie soziale Belange (wie zum Beispiel faires Handeln) als Beschaffungskriterium ernennen, gehen sie selbstverständlich mit in die Bewertung ein.
Richtlinien über öffentliche Aufträge fordern ausdrücklich die Aufnahme sozialer Erwägungen in Vergabeverfahren
Weiterhin können Sie Erfüllungsniveaus, z.B. A, AA, AAA einführen. Das bedeutet, dass den Anforderungen auf drei Niveaus entsprochen werden kann. Dadurch können die Angebote auf Grundlage ihrer gesamten wirtschaftlichen und qualitativen Kriterien bewertet werden und erhalten das so beste Preis-Leistungs-Verhältnis.

Festlegung von Ausschlusskriterien

Die konkrete Festlegung von Ausschlusskriterien im Vergabeverfahren wird gestützt durch Artikel 67 der Richtlinie 2014/24/EU: Er ist überschrieben mit Most Economically Advantageous Tender (MEAT), er fordert ebenfalls das vorteilhafteste Angebot (Preis + Qualität).
Hier sind verschiedene Zuschlagskriterien genannt, unter anderem auch „Design für alle“. Interessant ist, dass die mit der Vorteilhaftigkeit verbundenen Bedingungen d.h., die „Produkteigenschaften“ sich nicht zwangsläufig auf das Produkt selbst beziehen müssen, sondern auch soziale … Eigenschaften umfassen können.
Das vorteilhafteste Angebot muss sich nicht zwangsläufig auf das Produkt selbst beziehen, sondern kann auch soziale … Eigenschaften umfassen
Auch hier wieder die Möglichkeit, Ausschlusskriterien zu definieren: abweichende Kriterien entsprechen nicht der Richtlinie und werden folglich vom Vergabeverfahren ausgeschlossen!

Angebotsbewertung am Beispiel der gewichteten Nutzwertanalyse

Wenn wir zwei fiktive Angebote, für die wir jeweils Kriterien und unsere individuelle Einschätzung der Wichtigkeit festgelegt haben, miteinander vergleichen, stellen wir fest, dass Angebot B, obwohl es offenbar preislich deutlich günstiger ist aber beim Thema Barrierefreiheit deutlich weniger punktet, bei der Angebotsbewertung letztlich den Kürzeren zieht.

 

Bewertung der Alternativen und Rangfolgenbildung in einer Nutzwerttabelle
Nutzwertanalyse Tabelle
    Angebot A   Angebot B     Bewertungsmaßstab
Kriterien Gewichtung Teilnutzen Gew. Teilnutzen Gew.   Punkteanzahl Bedeutung
Preis

50%

2

1

4

2

 

5

sehr gut
Barrierefreiheit

30%

4

1,2

1

0,3

 

4

gut
Migrationsfähigkeit

20%

4

0,8

3

0,6

 

3

befriedigend
Summe

100%

 

3

 

2,9

 

2

ausreichend
             

1

mangelhaft
Kriterien und Gewichtung für Nutzwertanalyse
Kriterium Gewichtung
Preis 50%
Barrierefreiheit 30%
Migrationsfähigkeit 20%

Auch wenn diese Zahlen hier frei erfunden sind, genauso wie die Zuschlagskriterien, die natürlich nur unzureichend die tatsächlichen Anforderungen in einer Organisation widerspiegeln, können Sie im Rahmen einer gewichteten Nutzwertanalyse mit ihren eigenen Kriterien und Gewichtungen die Zuschlagskriterien festlegen und Angebote systematisch auswählen.

Qualitätssicherung und Nachweise zur Barrierefreiheit

Wenden wir uns abschließend dem Thema Qualitätssicherung und in diesem Zusammenhang auch dem Thema Nachweise zur Barrierefreiheit der angebotenen bzw. erarbeiteten IT-Lösung zu. In unserem Fallbeispiel haben Sie bereits gesehen, dass es unkompliziert möglich ist, die Zuständigkeiten und Kostenverteilung für entwicklungsbegleitende sowie abschließende Qualitätskontrollen festzulegen.

  • Der Bieter muss nachweisen, dass das Angebot den Leistungs- oder Funktionsanforderungen des Auftraggebers entspricht:
    • entwicklungsbegleitende Qualitätskontrollen
    • unabhängiges (Abschluss-) Gutachten
  •  In den Ausschreibungs- und Vergabeunterlagen ist festzulegen, wie diese Nachweise zu erbringen sind
  • Beim Nachweis der Barrierefreiheit durch Anbieter ist darauf hinzuweisen, dass Barrierefreiheitsnachweise nur von unabhängiger Stelle akzeptiert werden

Etwas schwieriger ist die Überprüfung der Kompetenz des Anbieters bereits vor Auftragserteilung. Gerade bei Anbietern, die bisher nur wenige Projekte nachweisen können, in der sie mit der Erstellung barrierefreier IT beauftragt waren, ist die Aufforderung zur Nennung von Referenzen unter Umständen unbefriedigend. Abhilfe kann hier das testen bereits erstellter Lösungen anhand anerkannter Prüfverfahren, wie zum Beispiel des BITV Tests für webbasierte Lösungen oder das BIT-inklusiv-Prüfverfahren für Anwendungssoftware bzw. PDF schaffen.
Voraussetzung in beiden Fällen ist, dass Sie solche Tests ausschließlich von neutraler Stelle durchführen lassen. Nur so können Sie vermeiden, dass Manipulationen auftauchen, die letztlich dazu führen, dass die erarbeitete Lösung doch nicht dem gewünschten und versprochenen Arbeitsergebnis entspricht.
Goldene Regel: Akzeptieren Sie Barrierefreiheitsnachweise nur von unabhängiger
Stelle – weder Sie noch der Anbieter sollten selbst prüfen

Abschließende Empfehlungen

Zusammenfassend empfehlen wir Ihnen für das Verfassen von Leistungsbeschreibungen bzw. Formulieren der Vergabekriterien, dass sie zunächst in Abgleich mit der Philosophie Ihrer Organisation interne und externe soziale und ethische Werte festlegen bzw. ggf. neu beleuchten. Konkretisieren Sie anschließend die einzuhaltenden technischen Anforderungen und Standards zur Barrierefreiheit. Verpflichten Sie den Bieter, sein Konzept zur Barrierefreiheit vorzulegen und ebenfalls zu dokumentieren, wenn und warum einzelne Features der angeforderten Lösung sich nicht umsetzen lassen sollten. Weiterhin sollte die Vorlage von Referenzen zu vergleichbaren Projekten, die ebenfalls das Thema Barrierefreie IT betrafen, eingefordert werden. Eine weitere Möglichkeit ist die Aufnahme von Konventionalstrafen explizit bei mangelnder Barrierefreiheit. Grundsätzlich und damit unabhängig von konkreten Beschaffungsprozessen sollten Sie ihre Beschaffungsgrundsätze, also die von Ihnen entwickelten Kriterien zum Thema barrierefreie IT, in ihr internes Qualitätsmanagement fest aufnehmen. So vermeiden Sie, dass sich erreichte Fortschritte z.B. durch Personalwechsel in Luft auflösen und sie wieder fast von vorne anfangen müssen.
Wir wiederholen noch einmal unsere Empfehlung: lassen Sie sich zumindest beim ersten Mal fachlich durch einen Spezialisten begleiten. Sie lernen auf diese Weise am schnellsten, vermeiden unter Umständen teure Fehler und können danach umso besser beschleunigen.
Empfehlungen

  • Formulieren sozialer, ethischer Werte z.B. nach SRPP
  • Konkretisieren der technischen Anforderungen und Standards zur Barrierefreiheit
  • Verpflichtung des Bieters, Konzept zur Barrierefreiheit vorzulegen und nichtumsetzbare Features zu dokumentieren
  • Vorlage von Referenzen zu bisherigen Aufträgen im Umfeld barrierefreie IT
  • Aufnahme von Konventionalstrafen explizit für Barrierefreiheit
  • Einbindung von Beschaffungsgrundsätzen in internes Qualitätsmanagement
  • Außerdem: Fachliche Begleitung von der Formulierung der Leistungsbeschreibung über eine entwicklungsbegleitende Evaluation bis zur Produktabnahme

Nächste Schritte

Was können Sie bereits jetzt in der Vorbereitungsphase eines Ausschreibungs- und Vergabeverfahrens leisten?
Sie können damit beginnen, ihre individuellen Anforderungen auf der Basis der WCAG, der DIN EN ISO 9241 Teil 171 und der EN 301549 zu identifizieren und zu definieren. Wenn Sie diesen Schritt erledigt haben, kommunizieren Sie diese Anforderungen innerhalb Ihrer Organisation, beziehen sie dabei auch die Schwerbehindertenvertretung und gegebenenfalls Betroffene ein, damit die von Ihnen definierten Anforderungen Validität bekommen und künftig alle betroffenen Funktionen in der Organisation von der gleichen Sache sprechen, wenn von barrierefreier IT die Rede ist. Verankern Sie diese Anforderungen in Betriebs- und Integrationsvereinbarungen oder erarbeiten Sie auf Basis dieser Anforderungen konkrete Checklisten. Wenn immer sich für Sie Fragen ergeben beziehen Sie externe Spezialisten ein! Der Aufwand ist in jedem Fall geringer als der Schaden, der durch nicht barrierefreie IT entsteht!
Was Sie als Nächstes tun sollten:

  • Erarbeitung konkreter Anforderungen, Festlegung der Standards (u.a. WCAG, DIN EN ISO 9241-171:2008-10, EN 301 549), ggf. Checklisten
  • Kommunikation innerhalb der Organisation zur Validierung der Anforderungen an die Barrierefreiheit in der IT
  • Einbeziehen der Anforderungen aus den konkreten Abteilungen (z.B: über die Schwerbehindertenvertretung)
  • Einbeziehen der Anforderungen in Betriebs- und Integrationsvereinbarungen
  • Einbeziehen externer Dienstleister

Impressum und Kontakt

Dieser Handlungsleitfaden ist eine Produktion des Projektes BIT inklusiv. BIT inklusiv wird gefördert aus Mitteln der Ausgleichsabgabe durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Durchgeführt wird das Projekt vom Deutschen Verein der Blinden Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS). Kooperationspartner sind der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), der Landschaftsverband Rheinland (LVR) und das Kompetenzzentrum IT.NRW.

_logo_BmASLogo Landesverband Westphalen-LippeLogo Landschaftsverband Rheinland

 

Kontakt
Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS)

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Frauenbergstraße 8
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Tel.: 0 64 21 / 9 48 88 – 0
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E-Mail: info@dvbs-online.de
Web: http://www.dvbs-online.de/

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und gutes Gelingen in Ihren künftigen Vergabeverfahren und allzeit barrierefreies Arbeiten!