Erlangen. BIT inklusiv-Mitarbeiter Detlef Girke war zu Gast auf dem Webkongress des Regionalen Rechenzentrums Erlangen. Zum vierten Mal trafen sich im März Fachleute aus dem deutschsprachigen Raum, um über Innovatives und Bemerkenswertes aus der Welt der IT zu sprechen. Die Themenschwerpunkte des Webkongresses 2014 sind Barrierefreiheit, Content-Management-Systeme (CMS) und Webdesign.

BIT inklusiv: Ein Schwerpunktthema des Webkongresses war „Barrierefreiheit“. Gibt es neue Erkenntnisse, die sowohl für Entwickler als auch für Anwender relevant sind?

Detlef Girke: An den grundsätzlichen Aspekten hat sich nichts geändert. Noch immer ist eine strikte Trennung von Inhalt, Layout und zusätzlichen Funktionen (z.B. durch JavaScript) eine der Voraussetzungen für barrierefreie Inhalte. Noch immer sind Textalternativen und Tastaturbedienbarkeit etc. sicherzustellen. Neu hinzugekommen sind z.B. Barrierefreiheits-Aspekte bei der Berücksichtigung unterschiedlicher Bildschirm-Auflösungen. Hier kann man z.B. durch die Festlegung zu vieler Punkte, an denen das Layout bei bestimmten Auflösungen umbrechen soll, Verwirrung stiften.

BIT inklusiv: Inwiefern waren mobile Anwendungen und eventuell damit verbundene Probleme ein Thema?

Detlef Girke: Auch bei der Verwendung von JavaScript-Frameworks wie JQuery muss man aufpassen, dass durch die Schaffung von zusätzlichen Funktionen oder Effekten keine neuen Barrieren entstehen. So kann es z.B. passieren, dass bei der Programmierung bewegter Inhalte der letztlich ausgegebene Inhalt so überladen wird, dass die mobile Nutzung nahezu unmöglich ist. Browser-Abfragen sind wichtiger denn je. Denn was sich am Desktop effektvoll präsentieren soll, hat sich auf mobilen Geräten auf die reine Information zu beschränken. Bei schlechter Programmierung muss dann auf mobilen Geräten trotzdem die gleiche Datenmenge geladen werden, was für den Nutzer mal wieder bedeutet: Warten. Daher lautet die Devise für Designer auch bei barrierefreiem Web-Design heutzutage: mobile first! Der Desktop verliert immer mehr an Bedeutung. Allein dieser Umstand wird sicherlich auch in Zukunft noch für allerlei Wirbel sorgen. Passend zum Vortrag von Jan Eric Hellbusch zum Thema WAI-ARIA (Accessible Rich Internet Applications) erreichte der Standard genau an diesem Tag (20. März 2014) den Status 1.0 einer Empfehlung (Recommendation) beim W3C (World Wide Web Consortium).

BIT inklusiv: Vielen Führungskräften fehlt das Bewusstsein für die Gestaltung barrierefreier Webanwendungen und Dokumente. Gründe sind häufig Unwissenheit und die Befürchtung, barrierefreie Gestaltung ziehe hohe Kosten nach sich. Wie kann ein Projekt wie BIT inklusiv dazu beitragen, diese Befürchtungen auszuräumen oder zumindest zu mildern?

Detlef Girke: Durch Sensibilisierung auf hohem Niveau. Selbstverständlich bindet Barrierefreiheit Ressourcen, selbstverständlich entstehen zunächst höhere Kosten. Doch Studien wie z.B. die von Dr. Steffen Puhl belegen, dass sich Barrierefreiheit nach einer gewissen Zeit (meist ein paar Jahre) rechnet. Die positive Außenwirkung durch soziales Engagement gepaart mit übersichtlichen und einfach zu bedienenden Web-Seiten oder Web-Anwendungen erhöht die Akzeptanz. Zusätzlich bedeutet ein barrierefreier Workflow, gut geplant, auf Dauer keine Mehrkosten. Nur die Eingewöhnungszeit kostet. Bedenkt man aber, dass jede neu eingeführte Anwendung in einem Unternehmen Kosten für Schulung und Support verursacht, dann nimmt die Barrierefreiheit dagegen einen eher kleinen Teil ein. Oft sind es ja weit mehr als 1.000 Anwendungen, die in einer Behörde oder einem Unternehmen genutzt werden. Das erzeugt einen massiven Schulungsaufwand. Außerdem: Im Sinne der UN-Behindertenrechts-Konvention sollten sich Unternehmen an einen inklusiven Führungsstil gewöhnen. Barrierefreies Denken ist ein Teil davon.

BIT inklusiv: Haben Tester aus der Praxis berichtet, welche neuen Prüfwerkzeuge für PDF-Dokumente aktuell eingesetzt werden und wie zufrieden die Anwender mit den Ergebnissen sind?

Detlef Girke: Um ehrlich zu sein: Reine Tester gibt es kaum. Das Testen ist meist Bestandteil eines Erstellungs- oder Überarbeitungsprozesses. Dabei kommen einige neue Prüfmethoden zum Einsatz. Durch den seit 2012 gültigen ISO-Standard PDF/UA (ISO 14289-1) sind es nicht mehr Einzelne, die die Barrierefreiheit von PDF definieren, sondern ein allgemein akzeptiertes Gremium. Auf Basis von PDF/UA hat die PDF-Association das Matterhorn-Protokoll erstellt, einen praktisch nutzbaren Katalog von Anforderungen für barrierefreie PDF-Dokumente. Die Schweizer Stiftung „Zugang für Alle“ hat schon vor ein paar Jahren das Programm PAC veröffentlicht, um mal ein Tool zu nennen. PAC steht für PDF Accessibility Checker und ist ein Programm der xyMedia GmbH. In der aktuellen Version 2.0 prüft es nach PDF/UA. Natürlich nur das, was sich auch automatisiert prüfen lässt. Nach wie vor ist Handarbeit notwendig. Das ist das Gleiche wie bei webbasierten Inhalten oder Desktop-Anwendungen.

BIT inklusiv: Vielen Personen außerhalb der „Behinderten-Szene“ ist Barrierefreiheit kein Begriff. Können Veranstaltungen wie der Webkongress dazu beitragen, diese Wissenslücken zu schließen?

Detlef Girke: Mit dem richtigen Workflow und dem Wissen über die Belange von Menschen mit Behinderungen im Hinterkopf sind selbst professionelle Layouts (z.B. Broschüren oder komplexe Formulare) hinsichtlich der Barrierefreiheit kein Thema mehr. Übrigens waren Menschen mit Behinderungen in der Minderzahl. Wie im richtigen Leben auch. Im Netz hält sich ja hartnäckig das Gerücht, dass man nur aus eigener Erfahrung, also nur mit Behinderung, Barrieren kompetent beurteilen kann. Das, finde ich, hat der Webkongress 2014 mal wieder deutlich widerlegt. Klar braucht man Erfahrung im Umgang mit behinderten Menschen. Und man sollte unverklemmt mit der Thematik umgehen können. Das konnte ich aus meiner Sicht, ich bin ja sehbehindert und nutze einen Taststock, aber ganz klar sagen. Wie in allen gesellschaftlichen Belangen bedarf es einer gewissen Empathie für ein gelungenes Miteinander. Jede Manager-Schulung hat das heutzutage zum Bestandteil. Wo sie fehlt, entstehen Krisen. Shitstorms, Bankenkrisen, Politikverdrossenheit oder eben auch schlechte Software sind ein Beleg dafür. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man am Ball bleiben muss, damit der Begriff Barrierefreiheit nicht in Vergessenheit gerät. Aber genau an dieser Stelle leisten Gesetzgeber und Standardisierungsorganisationen wie das W3C oder die PDF-Association gute Arbeit. Das hat auch der Webkongress mal wieder deutlich gezeigt. Alle Vorträge der Kongresstage wurden aufgezeichnet und können im Internet abgerufen werden: http://www.video.uni-erlangen.de/course/id/263.html

„Mobilanwendungen gewinnen immer mehr an Bedeutung“