Die Ausgangssituation

Eine wichtige Voraussetzung für eine inklusive Arbeitswelt und die dauerhafte Beschäftigung blinder und sehbehinderter Menschen ist die barrierefreie Gestaltung des Arbeitsplatzes und der Informationstechnik. Bislang werden die Probleme bei der Nutzung der Informationstechnik vorwiegend individuell betrachtet und es wird versucht, Probleme mit IT-Barrieren über Einzelplatzanpassungen auszugleichen.

Die schnellen technischen und arbeitsorganisatorischen Veränderungen im Rahmen der zunehmenden Digitalisierung erhöhen die Zugangsprobleme von blinden und sehbehinderten Beschäftigten zu modernen IT-Anwendungen und zu Arbeitsvorgängen, wie z.B. Dokumentenmanagementsystemen, oder der elektronischen Aktenführung. Individuelle Arbeitsplatzanpassungen stoßen zunehmend an technische, organisatorische, motivationale sowie finanzielle Grenzen.

Ziel: Die Ermittlung gängiger IT-Zugangs- und Nutzungsprobleme an Arbeitsplätzen

Um eine übergreifende barrierefreie IT-Gestaltung gewährleisten zu können, braucht es gesicherte Erkenntnisse, worin gängige IT-Zugangsprobleme bestehen. Mithilfe empirischer Erhebungen hat BIT inklusiv Barrieren bei der Nutzung von Websites, elektronischen Dokumenten und Anwendungssoftware durch Befragungen von betroffenen Anwendern und Experten ermittelt. Dies schloss die Ermittlung von Anwendungssoftware ein, die häufig an Arbeitsplätzen von Blinden und Sehbehinderten zum Einsatz kommt und Zugangsprobleme bereitet. Darüber hinaus wurde nach gegebenen und zukünftigen Beschäftigungsmöglichkeiten von blinden und sehbehinderten Menschen gefragt.

Wer befragt wurde

Zielgruppe der Interviews waren Personen, die in Berufsfachgruppen der Verbände „Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V.“ (DVBS) und „Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.“ aktiv sind. Die Interviewpersonen sollten möglichst aus verschiedenen Beschäftigungsbereichen stammen, um Einblicke in unterschiedliche Anwendungszusammenhänge geben zu können. 46 blinde und sehbehinderte Beschäftigte konnten interviewt werden. Vertreten sind Personen aus den Bereichen Rundfunk, Medien, Justiz sowie aus Verwaltungen der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft. Die Interviews erfolgten im 2. Halbjahr 2014 und im Frühjahr 2015.

Ergänzend wurden insgesamt fünf Experteninterviews mit dem Ausbildungs- und Lehrpersonal der Berufsförderungswerke für Blinde und Sehbehinderte in Würzburg und Düren sowie der Berufsbildungswerke in Chemnitz und Soest.

Blinder Mann nutzt Hilfsmittel am Arbeitsplat
Blinder Mann nutzt Hilfsmittel am Arbeitsplatz

Auswertungsergebnisse: Viele IT- Barrieren und hoher Assistenzanteil

Als zentrales Ergebnis der Interviews mit den Betroffenen und dem Fachpersonal der Berufsbildungs- und Berufsförderungswerke lässt sich festhalten, dass im Umgang mit Anwendungssoftware eine Vielzahl an Schwierigkeiten auftreten, welche  die tägliche Arbeit der Betroffenen belasten. Dabei ist auffällig, dass vor allem Spezial- oder Eigenanwendungen der Unternehmen bzw. öffentlichen Verwaltungen häufig nicht oder wenig barrierefrei sind und  große Schwierigkeiten bei der Nutzung von Screenreadern und Vergrößerungssoftware bereiten. Die Probleme liegen dabei insbesondere im Bereich der Navigation und Steuerung und äußern sich durch eine nicht funktionierende oder nicht ausreichende Cursorverfolgung, Sprachausgabe oder Tastaturbedienbarkeit. Auch die Gestaltung von Datenbankoberflächen oder betriebsspezifische Anpassungen von Produkten erschweren oder verhindern die Nutzung mit den technischen Hilfsmitteln.

42 % der Befragten sind bei ihrer täglichen Arbeit auf eine Arbeitsplatzassistenz angewiesen. Der Bedarf an Arbeitsplatzassistenz ist dabei teilweise erheblich und häufig durch Barrieren in der Nutzung Softwareprodukte mit den Hilfsmitteln an den an den Arbeitsplätzen bedingt,  obwohl die Arbeitsaufgaben und -prozesse bereits an die besonderen Erfordernisse der Beschäftigten angepasst waren.

Beinahe alle Befragten berichteten über einen erheblichen Mehraufwand, den sie im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen zu leisten hätten. Festgestellt werden konnte auch, dass viele Befragte ein hohes Maß an Engagement und Erfindungsreichtum bei der individuellen Problemlösung in Bezug auf Barrieren bei der Nutzung von Anwendungssoftware entwickeln. Dennoch konnten sie nach eigener Aussage nicht immer ihren Aufgaben im vollen Umfang gerecht werden bzw. sind auf Unterstützung angewiesen.

 Beschäftigungsperspektiven und -gefahren

Die Befragten sehen die Beschäftigungsperspektiven für blinde und sehbehinderte Personen kritisch, aber durchaus auch chancenreich. Am positivsten fielen die Einschätzungen für die Beratungsberufe und die öffentliche Verwaltung sowie für juristische Berufen aus: Für Beratungstätigkeiten wird ein anhaltender oder wachsender Bedarf gesehen, der durch neue Techniken oder Arbeitsverfahren nicht aufgefangen werden könne. Dieser Bereich wird als so groß und vielseitig gesehen, dass sich auch stets Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Seheinschränkungen finden lassen würden. Zudem bauen Betroffene auf die soziale Verantwortung öffentlicher Arbeitgeber, Menschen mit Behinderung einzustellen.

Mehrere der befragten Beschäftigten vertreten die Einschätzung, dass ihr Arbeitsplatz nach ihrem Ausscheiden wegfallen oder nicht mehr mit einem mit einem blinden oder sehbehinderten Beschäftigten besetzt werden würde.

Auch das Fachpersonal beurteilt die Perspektiven für die Beschäftigung von blinden und sehbehinderten Menschen skeptisch optimistisch. Wenn die technischen Hilfsmittel und die Anwendungssoftware gut miteinander harmonieren würden, könnte in vielen Bereichen, in denen ein Computer eingesetzt wird, auch eine Beschäftigung Blinder und Sehbehinderter erfolgen. Die Ursachen für die Beschäftigungsprobleme lägen nach ihrer Meinung nach auch in der stärkeren Arbeitsverdichtung und im erforderlichen Arbeitstempo am Arbeitsplatz. Insbesondere seien die visuellen Anforderungen gestiegen.

Gefahren für die weitere Einstellung und Beschäftigung von blinden oder Sehbehinderten Fachkräften bestehen darüber hinaus durch den Wegfall ganzer Beschäftigungsbereiche (wie etwa dem Schreibdienst), durch die Nichtbeachtung der Barrierefreiheit in der Softwareentwicklung und durch die Verwendung grafischer Dateiformate, die nicht oder nicht ohne Zusatzaufwand vor allem von blinde Beschäftigten zu nutzen sind. Auch werde der  Trend zur Universalisierung von Tätigkeiten, sodass jeder alles können und erledigen muss, zukünftig die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung weiter einschränken.

Text: Herbert Rüb / Marike Götz

 

Befragungsergebnisse über IT-Barrieren an Arbeitsplätzen