Im April wird sich der Bundestag mit der von der Bundesregierung beschlossenen Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) befassen.

Zusammen mit der Barrierefreien Informationstechnik-Verordnung (BITV) hat das BGG maßgeblich die barrierefreie Gestaltung von Internetangeboten des Bundes und der Länder vorangetrieben. Mittelbar profitierten auch privatwirtschaftliche Webangebote und nicht zuletzt Webnutzerinnen und -nutzer mit Handicap von diesem „Innovationsschub“.

Während die BITV im Jahre 2011 ein Update erhielt, ist das BBG seit inzwischen 14 Jahren unverändert: Umso interessanter ist daher die Frage, was der Gesetzentwurf Neues in Sachen barrierefreie Informationstechnik bietet.
Am Auffälligsten ist ein neuer Absatz (2) zur Barrierefreien Informationstechnik, mit der sich nun der § 12 befasst (vormals § 11):
„Träger öffentlicher Gewalt (…) gestalten ihre allgemeinen, für die Beschäftigten bestimmten Informationsangebote im Intranet sowie ihre elektronisch unterstützten Verwaltungsabläufe schrittweise barrierefrei.“

Diese Ergänzung wird mit der „zunehmenden Digitalisierung von Vorgängen und Arbeitsprozessen“ in der Bundesverwaltung begründet, die es inzwischen erforderlich mache, barrierefreie Informationstechnik künftig auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltungen des Bundes sicherzustellen.

Bisher werden die Vorgaben zur Barrierefreiheit, die sich aus dem noch geltenden BGG ergeben, in der BITV geregelt. Sie enthält die amtliche deutsche Fassung der Richtlinien für barrierefreie Webhinhalte (Web Content Accessibility Guidelines – WCAG 2.0).
In der BGG-Novelle wird nicht auf die BITV verwiesen, sondern auf „allgemein anerkannte Regeln der Technik“. Juristisch bedeutet dies jedoch, dass bei der barrierefreien IT-Gestaltung u.a. die geltenden WCAG 2.0 und die EN ISO 9241, Teil 171 („Ergonomie der Mensch-System-Interaktion – Teil Leitlinien für die Zugänglichkeit von Software“) zu beachten sind. Dabei besteht schon seit langem eine Verpflichtung zur barrierefreien IT-Gestaltung durch Einhaltung der EN ISO 9241, die Teil der Bildschirmarbeitsverordnung ist.

Laut BGG-Novelle soll der Aspekt der Barrierefreiheit nicht nur bei neu zu beschaffenden IT-Produkten berücksichtigt werden, sondern auch bei der Planung, Entwicklung, der Ausschreibung und der Beschaffung von Erweiterungen und Ergänzungen zu schon bestehenden IT-Lösungen. In dem Gesetzentwurf werden keine Fristen zu einer Umsetzung genannt, sondern es werden von den Bundesbehörden bis zum 30. Juni 2021 Berichte zum Stand der Barrierefreiheit ihrer Informationsangebote und Verwaltungsabläufe eingefordert.

Die Regelung, dass von dem Gebot der barrierefreien Gestaltung abgesehen werden kann, wenn diese einen „unverhältnismäßigen technischen Aufwand“ erfordert könnte zu einer Auslegungssache werden.

Pressekonferenz zur BGG-Novelle mit Andrea Nahles und Verena Bentele
Pressekonferenz zur BGG-Novelle
mit Andrea Nahles und Verena Bentele
Bild: BMAS, 2016

Bei der Vorstellung des Gesetzentwurfes zur Novellierung des BGG wies Bundesministerin Andrea Nahles darauf hin, dass die Bundesregierung die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nachhaltig stärken und verbessern wolle. „Das Gesetz wird,“ so Nahles, „vor allem für mehr Barrierefreiheit sorgen und mögliche Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen in der öffentlichen Verwaltung weiter abbauen.“

Der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen Verena Bentele geht der Gesetzesentwurf hingegen nicht weit genug. Bentele kritisiert vor allem, dass private Anbieter auch künftig nicht dazu verpflichtet werden, Barrierefreiheit herzustellen.

Bild Uwe Boysen, 1. Vorsitzender DVBS e.V.
Uwe Boysen, 1. Vorsitzender DVBS e.V.
Bild: DVBS e.V., 2016

Dieser Kritik schließen sich u.a. die BAG der freien Wohlfahrtsverbände, der Deutsche Behindertenrat und der Deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V. (DVBS) an.

In einer umfangreichen Stellungnahme setzt sich der DVBS sehr detailliert mit den Regelungen zur barrierefreien Informationstechnik auseinander.

„Das Fehlen einer gesetzlichen Regelung für den privatwirtschaftlichen Bereich war schon bei Verabschiedung des alten BGG eine Schwachstelle“, kritisiert auch der Jurist und erste Vorsitzende des DVBS Uwe Boysen den Regierungsentwurf. Und dies sei angesichts der seither stetig gestiegenen Bedeutung des Internets nicht mehr zu rechtfertigen. „Außerdem verpflichtet die UN-Behindertenrechtskonvention den Gesetzgeber auch rechtlich, private Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen“, so Boysen.

Weitere Informationen zu diesem Thema:

Bundesregierung beschließt BGG-Reform